Wertes Fräulein darf ich es wagen …
Heute nehmen wir uns nicht mehr die Zeit, um uns etwas zu schreiben. Wir benutzen Emoticons und Icons um Gefühle auszudrücken. Aber wenn man einmal versucht, die Worte zu finden, wird man sehr überrascht sein.
Heute möchte ich Euch von einem Liebesbrief erzählen: Es ist nicht irgendein Liebesbrief, in diesem Liebesbrief wird sie gestellt: Die Frage aller Fragen! Nach dem Leben und dem Universum und allem, jedenfalls für den Schreiber! Einfach großartig! Es gibt nur ein Problem. Der Brief ist leider nicht an mich. Der Brief wurde am 19. März 1832 einem „kleinen Boten“ übergeben – von meinem Urururgroßvater. Aber ich glaube, ich sollte die Geschichte einmal von vorne erzählen.
Austmisten? Nein! Eintauchen in Erinnerungen
Meine Tante, die mit Ihrer Mutter im Elternhaus der Mutter lebt, rief mich letzte Woche an und sagte: „Du suchst doch ständig irgendwelche alten Dinge – bei uns auf dem Dachboden liegen ein paar Schätzchen, da ist bestimmt etwas für Dich dabei!“ Ein Supertrick kostenlos einen Entrümpler zu finden, dachte ich mir, aber sie hat ja doch ein bisschen Recht. Also habe ich zugesagt, Ihr am Sonntag zu helfen. Ihre Mutter ist unglaublich fit. Dabei hat sie in meiner Erinnerung nie anders ausgesehen als heute, sie wirkt alterlos und ewig jung.
Meine Tante begrüßt mich von der Veranda, und wir steigen sofort auf den Dachboden. Nackte Glühbirnen erhellen ein klassisches Holzständerwerk. Überall stehen monströse Schränke und Truhen.
Wir nehmen uns den ersten Schrank vor: Pappschachteln und unorganisierte Papierstapel. Mir entweicht ein unkontrolliertes Seufzen und meine Tante sagt „Jetzt stell Dich mal nicht so an, das ist auch Deine Familiengeschichte!“. Wo sie Recht hat …! Wir packen Papierstapel aus und sortieren sie nach Kategorien. Briefwechsel. Bankunterlagen von Konten, die längst erloschen sind – und von Banken, die es schon längst nicht mehr gibt. Wieder Briefwechsel. Bankunterlagen. Briefwechsel. Bank … und dann dieses vergilbte Papier. Handschriftlich mit Tinte geschrieben. Fast nicht leserlich.
“Die Frage, welche dieses Schreiben an Sie bringen soll, Hochverehrteste! – ist zu wichtig und ernst. als daß sie Schmuck und Schminke zuließe.”
„Zeit für eine Pause!“ höre ich meine Tante. Zu diesem Zeitpunkt sind wir gerade eine halbe Stunde auf dem Speicher – ähnlich erfolgreich wird hier seit hundert Jahren ausgemistet. Es läuft also wie immer, wir kürmeln ein bisschen und gehen dann in die Küche, wo meine Tante erst einmal Tee kocht und durch das Flöten des Flötenkessels gerufen (ja meine Tante ist sehr altmodisch) meine Großtante dazustößt.
Wir sitzen zu dritt am Küchentisch, in der Mitte der alte Brief. Meine Großtante liest den Brief glucksend und schaut nach der letzten Zeile auf „Der lag da oben? Ich kann es nicht glauben, meine Mutter hat mir mal von diesem Brief erzählt. Theo war Pfarrer, wenn der so viel in der Kirche gesprochen hat, gab es sicher viele Austritte. Habt Ihr die Antwort auch gefunden?“
Wir waren wirklich überrascht, dass es auch eine Antwort geben soll und ich fragte „Wer ist denn bitte diese hochverehrteste Eliese, an die der Brief gerichtet ist?“ Meine Großtante trinkt – und ich weiß, sie tut es nur um die Spannung zu steigern – mehrere Schlucke Tee. Dann schaut sie mich ganz tief an und sagt „Deine Urururgroßmutter hieß Elisabeth, die Antwort muss also Ja gewesen sein. Aber meine Mutter hat immer erzählt, dass es in der Antwort einen grammatikalischen Fehler gab, der Deiner Ururururgroßmutter aufgefallen war und über den sie zu Theo sagte, mir und mich dürfe Elisabeth gern verwechseln, mein und Dein solle sie aber gefälligst auseinander halten.“ Wir haben die halbe Nacht gesucht und sie gefunden:
Die Antwort!
„Hochgeehrter Herr!
In Beziehung auf mein gestriges Schreiben erlaube ich mich hierdurch Ihr geehrtes Schreiben dahin zu beantworten, daß ich mich geneigt fühle Ihrem gegen mich geäußerten Wunsch zu entsprechen. Und dieses sagt mir mein Herz, Sie verzeihen mir die wenigen Worte.
Mit besonderer Achtung nenne ich mich Ihre Dienerin.
Elisabeth.“
Wenn man liebt, schreibt man einen Brief, weil Liebe nicht nur eine sms ist. Liebe braucht Zeit, Ruhe und Platz!
Die ganze Fahrt habe ich darüber nachgedacht, was einen Liebesbrief wirklich ausmacht, und ich habe entschieden einen zu schreiben. Wie mein Urururgroßvater, nicht an einem Smartphone mal eben eine Nachricht aus Versehen an den Chef schicken und dann zu Kreuze kriechen müssen. Nein, einen echten Liebesbrief. Ich überlege, wie Theo sich wohl seinerzeit vorbereitet hat und räume zunächst meinen Schreibtisch auf. Alles, was meine Gedanken stören könnte, entferne ich und schaffe eine altmodische Atmosphäre des Nachdenkens. Mit einem kleinen Kerzenlicht und einer Tasse Tee erkenne ich an meinem kleinen Schreibtisch, dass mich plötzlich nichts mehr ablenkt. Ich kann konzentriert darüber nachdenken, was ich wirklich schreiben möchte. Es ist eben nicht das so schnell dahingesagte „Hab Dich lieb!“. Nachdem ich meinen Füllfederhalter endlich wieder schreibfähig bekomme habe, merke ich, wie wenig ich mit der Hand schreibe. Vor Jahren habe ich mal japanische Briefbögen gekauft, die zusammengefaltet direkt auch der Umschlag sind, heute werde ich sie endlich benutzen. Ich lege bewusst mein Handy ins Nebenzimmer und denke darüber nach, was ich schreiben will. Was mir ja eigentlich nicht schwer fällt, aber ohne Emoticons und Hashtags ist es doch ganz schön schwierig. Drei Briefbögen später habe ich endlich den richtigen Ton gefunden. Ich schaue über meinen Biedermeierschreibtisch, mir ist schon lange nicht mehr die Maserung aufgefallen, sonst liegen zu viele Papiere herum, mein Laptop deckt zu viel ab. Was für eine angenehme Wärme dieser Schreibtisch hat, fast weich. Ich bleibe noch sehr lange sitzen und denke daran, wie schön es sein musste früher. Einen Brief zu schreiben und auf eine Antwort zu warten, ungeduldig wie Theo.
Ich klebe eine Briefmarke auf den Umschlag und schreibe den Namen meines Mannes sowie unsere Adresse auf den Brief. Am nächsten Tag werfe ich den Umschlag in einen Postkasten. Nach ein paar Tagen öffne ich den Briefkasten und nehme einen Umschlag heraus, handgeschrieben. Es ist die Handschrift meines Mannes.