Ein Kerzenleuchter und seine Geschichte
Die erste Geburtstagskerze muss für Eltern etwas ganz Besonderes sein, irgendwie ist ja jeder Entwicklungsschritt des eigenen Kindes etwas ganz Besonderes. Und wenn er dann auch noch so vielbeachtet ist wie der erste Geburtstag, bleibt einem wahrscheinlich nicht viel anderes übrig, als es ganz ausgefallen zu planen. Auch wenn der Spross nicht so viel davon mitbekommen mag. Nehme ich jedenfalls an, ich kann mich nämlich nicht direkt erinnern, und doch wurde die Geschichte um meinen ersten Geburtstag so oft erzählt und die Fotos so häufig gezeigt, dass ich mich doch irgendwie erinnere. Nur eben indirekt.
Der erste Geburtstag
Meine Eltern waren nämlich von mir Blondschopf so fasziniert (jedenfalls rede ich mir das ein), dass sie Momentaufnahmen meines Zusammentreffens mit meinem ersten Geburtstagskuchen fotografierten. Es war ein Schokoladenkuchen, er ist bis heute mein Geburtstagskuchen. Ein Gateau Berbelle von Wolfram Siebeck, es war einfach die Zeit vor Jamie Oliver. Und die Zeit vor dem bösen Cholesterin. Ach, und Low Carb gab es damals auch noch nicht. Welcome to the 70s! Eine Zeit, in der man noch genussvoll schlemmen durfte ohne von allen Seiten darauf hingewiesen zu werden, dass man auf diese Art Arteriosklerose, Diabetes, Allergien oder direkt eine Leberzirrhose riskiert. War auch irgendwie eine glückliche Zeit, oder?
Schein und Wirklichkeit
Jedenfalls war ich ein braves Kind, ein Schokoladenkuchen und meine erste Geburtstagskerze. Also auf dem ersten Bild – ich will mich nicht unbedingt dazu äußern, ob es nun Schein oder Wirklichkeit ist oder war! Und weil Kinder in diesem Alter außer Spielzeug und Nahrung nicht viel brauchen, hatten meine Eltern entschieden, einen Biedermeierkerzenleuchter aus Messing für meinen ersten Geburtstag zu kaufen. Etwas mit bleibendem Wert. Dachte man auf dem ersten Bild auch noch.
Das erste Bild
Die Welt war in Ordnung, ein blondgelockter Engel, der kein Wässerchen trüben und keiner Fliege etwas zu Leide tun kann – mit einem Schokoladenkuchen und einer großen Geburtstagskerze. Ein Bild für die Ewigkeit …
Das zweite Bild
Ich habe schon einen Löffel in der Hand. Wenn man nun aufhören würde, die folgenden Bilder anzusehen, wäre alles gut. Ich wäre ein wohlerzogenes, besonders niedliches Kind mit ausgesprochen ausgefeilten Tischmanieren gewesen. Aber Sie mussten ja einfach weiter auf den Auslöser drücken.
Das dritte Bild
Die Kerze brennt noch – und vielleicht sollte ich betonen, dass ich keinen Flächenbrand ausgelöst habe. Nur um die Spannung nicht auf die Spitze zu treiben, ich habe zu dem Löffel auch schon einen Teller mit einem Stückchen dieses wunderbaren Kuchens. Es sieht noch harmlos aus, denn dass Kinder ein bisschen unorganisiert mit dem Löffel umgehen, ist ja bekannt.
Das vierte Bild
Die Kerze brennt noch immer, aber ein bisschen von dem Kuchen scheint daneben gegangen zu sein. Man kann aber auch so schlecht mit einem Löffel den kleinen Mund treffen. Da muss man vielleicht einmal die Serviette zur Hilfe nehmen.
Das fünfte Bild
Die Kerze brennt, jetzt brauchen wir vielleicht für das Gesicht einen feuchten Waschlappen, dafür reicht die Serviette nicht aus.
Das sechste Bild
Die Kerze brennt noch immer, ich sehe inzwischen nicht mehr ganz so glücklich aus – und ich brauche inzwischen ein Bad.
Das siebte Bild
Die Kerze ist noch kein Problem, aber inzwischen muss man mich gründlich baden, umziehen und einmal über das Tischchen meines Hochstuhles wischen. Da ist nämlich noch ein bisschen mehr daneben gegangen.
Das achte Bild
Eine Kerze und ein Kind in einem äußerst fragwürdigen Zustand. Ich bin verzweifelt, offensichtlich scheine ich zu merken, dass nur geringe Teile des wirklich köstlichen Kuchens in meinem Mund landen. Der Esstisch ist voller Kuchen, das Tischchen meines Hochstuhls bedarf inzwischen größerer Reinigungsarbeiten, das Lammfell, das mich Winterkind warm halten soll, ist vollkommen mit Schokolade überzogen, und ich selbst wirke ebenfalls so, als hätte ich eine Schokoladenglasur. Im Gesicht, in den Haaren, auf der Kleidung.
Wenn Ihr den Kuchen einmal nachbackt, werdet Ihr sehen: das können keine Krümel sein!
Jedes Daumenkino endet irgendwann
Hier endet das Daumenkino, weil ich im nächsten Augenblick den Kerzenleuchter umgeworfen habe. Da meine Mutter Tischdecken aufgrund ihrer turbulenten Brut schon bei meinem Bruder abgeschafft hatte, kam es nicht zu einem Brand. Aber der Biedermeierkerzenleuchter hatte nun eine Macke. In meiner erlernten Erinnerung ist nichts darüber abgespeichert, ob ich ausgeschimpft wurde, wahrscheinlich aber nicht. Ich weiß nur, dass meine Mutter immer sagte: „Der Leuchter ist leider kaputt, den hat Johanna mit ihrem Füßchen an ihrem ersten Geburtstag umgeworfen!“ Sie sagt das niemals mit einem Vorwurf, sie sagt es vielmehr mit einer Erinnerung an eine wirklich schöne Zeit, die meine Kindheit war. Der Biedermeierkerzenleuchter aber blieb uns erhalten und vielmehr noch, ich bekam jedes Jahr einen neuen Leuchter dazu. Inzwischen sind es ziemlich viele, aber man fragt ja nicht nach dem Alter. 🙂
Die Mischung macht es – wenn viele Kerzenleuchter zusammenkommen
Diese Kerzenleuchter sind alle unterschiedlich und sehen immer wundervoll aus. Tagsüber ohne Flamme sind sie ebenso ein wunderbarer Tischschmuck wie abends bei einem schönen Essen. Als es etwa 15 oder 16 Leuchter gewesen sein müssen, gab es bei uns ein schreckliches Gewitter. Da ich wirklich vom Lande komme, kann man natürlich so ein Gewitter dann auch sehr gut in der Natur beobachten, und aus unserem Esszimmer schaute man durch sehr große Fenster über ein bewaldetes Tal. Die Blitze schlugen gegenüber in den Hügel, immer und immer wieder. Irgendwann gab es einen schweren Knall und der Strom war weg. Mein erster Leuchter aber hatte ein Tellerchen auf dem immer Streichhölzer lagen, und so musste ich nicht lange suchen. Die Blitze schlugen noch immer ein, und das Esszimmer wurde in das warme Licht der Kerzen getaucht. Die Tatsache, dass ich damals gerade Bram Stokers Dracula las, schürte eine noch größere Unheimlichkeit. Für heutige Augen war es ganz schön dunkel, aber gleichzeitig ist Kerzenlicht auch wunderbar warm und taucht alles in ein ganz weiches Licht.
Kerzenlicht schmeichelt allem
Und man sieht auch viel hübscher aus! Wer braucht also schon Botox, wenn er eine Kerze haben kann. Als ich in meine erste Studentenbude zog, habe ich übrigens meinen verbeulten Leuchter mitgenommen, und ich mache ihn immer noch so gerne an. Und die anderen, stehen bei meinen Eltern, da wo sie hingehören und da wo es den besten Schokoladenkuchen der Welt gibt. Beim nächsten Date könnt Ihr es ja einfach ausprobieren: Sehr viele Kerzen, ein gemütliches Essen – und spätestens beim Kuchen ist der Drops gelutscht. Und sollte sich der Eingeladene als Vollpflaume herausstellen: Dieser Kuchen schmeckt sogar alleine!
Wenn man nur einen Kerzenleuchter hat …
Da ich selbst nur einen Kerzenleuchter habe, nutze ich ihn als eine Art Lebenskerze und sonst normale Aufsteckkerzen für den Geburtstagskuchen. Ich finde die Lösung ganz großartig und das Licht ist genauso wundervoll und schmeichelnd.